Die Geschichte hinter dem Projekt

Ein persönlicher Beitrag des Klassenlehrers Michael Herold:

Ich bin seit über 16 Jahren Lehrer an der Heinrich-Sinz-Schule und unterrichte dort Oberstufenklassen. In Afrika bin ich seit fast 10 Jahren über eine kirchliche Gruppe engagiert. Im Jahr 2009 besuchten wir in der Gegend von Mbeya Freunde und statteten der jungen Schwesternschaft Uschirika wa Upendo (gegründet 2008) einen Besuch ab. Die Schwestern waren damals recht verzweifelt, weil sich in ihrer Gegend 2009 ein Erdbeben ereignete, welches zahlreiche Gebäude beschädigte oder zerstörte. Die Schwestern erklärten mir damals, dass sie ihre Berufung in der Schulausbildung der Kinder der Umgebung sehen. Insbesondere die Unterstützung der zahlreichen Omas, Tanten und Verwandten, die Aids Waisen aus ihrer Familie aufnehmen, liegt ihnen am Herzen. Jetzt hatten die Schwestern vor, sich um den Bau eines Kindergartengebäudes zu bemühen, aber durch die Erfahrungen des Erdbebens trugen sie Sorge, dass ihre Bemühungen mit einem Schlag zunichte gemacht werden könnten. Diese Begegnung sensibilisierte mich für das Thema „Erdbeben“.

Als 2010 das gewaltige Erdbeben Haiti erschütterte, fragten mich meine Schüler, was man denn gegen so eine Katastrophe machen kann. Damals beschäftigten wir uns mit dem Thema im Werkunterricht und bauten kleine Holzmodelle. Anschließend informierten wir uns intensiv über die verschiedenen Erdbebenwellen und führten Versuche mit unseren Hausmodellen durch. Wir entdeckten, dass die Fachwerkkonstruktionen stabiler waren, als andere Modelle. Ein Schüler zeichnete dazu einen Bauplan. Diesen Plan zeigte ich damals Herrn Schmid von der Firma Metallbau Schmid beim Besuch eines Praktikanten in seiner Firma. Wir unterhielten uns damals auch über Erdbeben und ich fragt ihn, ob man so was, wie auf dem Plan, bauen könnte, weil Fachwerkhäuser aus Stahl in Termitengebieten sinnvoller sind. Herr Schmid prüfte den Plan und meinte, dass das theoretisch schon möglich sei. Damit war das Thema erst einmal ein Jahr vom Tisch.

Bei einem Treffen mit Herrn Ferdinand Munk fragte er mich, ob wir an der Schule nicht einmal ein Projekt durchführen könnten, bei dem Schüler die Arbeitswelt besser kennen lernen könnten. Ich schlug ihm damals vor, ein erdbebensicheres Gebäude als Gartenhaus an unserer Schule zu bauen, sozusagen als Versuch, unsere Pläne im Kleinen einmal wirklich durchzuführen.

Als wir uns zu Planungsgesprächen trafen informierte uns die Schwesternschaft, dass sie ihren Plan, einen Kindergarten zu bauen in die Tat umsetzen wollten. Ich fragte Herrn Munk, ob er sich vorstellen könnte, dass wir ein solches Gebäude tatsächlich in einem Erdbebengebiet aufstellen könnten. Er fand die Idee interessant und versprach mir, wenn wir das wirklich durchführen, uns so weit wie möglich zu unterstützen. Ich fragte diesbezüglich meine Schüler, ob sie an einem solchen Projekt wirklich mitarbeiten wollen und ob sie dafür bereit wären, sich auch in ihrer Freizeit zu engagieren. Ich informierte sie auch über die Lebensbedingungen der Kinder in Tansania. Als die Schüler ihre Bereitschaft für ein Engagement für dieses Projekt erklärten, nahm ich Kontakt mit der Schwesternschaft in Tansania auf. Sie freuten sich sehr, als sie von unseren Plänen hörten.

Weichnachten 2011 reiste ich zu Koordinierungsgesprächen nach Tansania. Dort erkundigte ich mich über die Möglichkeiten der Materialbeschaffung vor Ort, traf mich mit Mitarbeitern der Botschaft, mit Containerspediteuren und natürlich mit den Schwestern. Ich hatte einen Bauplan mit im Gepäck. Als ich dann bei den Schwestern zum Gespräch über den Bau ankam, überraschten diese mich ebenfalls mit einem Bauplan eines einheimischen Architekten. Dieser Plan allerdings sah ein dreimal so großes Gebäude vor, als wir das geplant hatten. Die Schwestern brauchen einen Kindergarten für mehr als 100 Kinder. Wir planten ein kleines Gebäude für maximal 30 Kinder. Nach dem ersten Schock rief ich Herrn Munk an und fragte ihn, ob wir das Projekt abblasen sollen, weil ich mich, ehrlich gesagt, von der Situation komplett überfordert fühlte. Er sagte mir: „Nimm den Plan der Schwestern. Ich weiß jetzt nicht genau wie, aber wir werden das schaffen. Ich glaube an euer Konzept.“

So traf ich mich mit dem Architekten und besprach mit ihm die Möglichkeit, in sein Gebäude ein Stahlfachwerk einzuziehen. Er war von der Idee sofort begeistert, wie er keine Vorstellung hat, wie man Gebäude zuverlässig vor Erdbeben schützen kann, besonders in Gebieten, in denen es keinen Strom gibt und ein klassischer Beton – Ringanker nicht in einem Stück durchgegossen werden kann.

Zu Hause erklärte ich meinen etwas verwunderten Schülern, dass wir nun ein Projekt zu bearbeiten haben, was sämtliche Maßstäbe sprengt, die wir vorher geplant hatten, aber die Schüler nahmen die Herausforderung an. Zuerst überarbeiteten wir unsere Pläne, anschließend bereiteten sie eine Ausstellung vor, bastelten kleine Tonhäuschen für Spendensammlungen, hielten Vorträge in Gemeindehäusern usw.

Aber jetzt gab es unerwartete Schwierigkeiten. Wir mussten unsere Ideen umarbeiten, weil wir unsere ursprüngliche Absicht, nämlich Fachwerkmodule aus Stahlträgern nicht verwirklichen konnten. In einem Experiment fanden wir heraus, dass man in H-Trägern die letzte Steinschicht nicht einmauern kann. Außerdem waren die Module zum Tragen viel zu schwer, weil es in der Gegend um Brandt in Tansania ja keine Kräne zum Aufbau gibt. Außerdem hatten wir Probleme damit, wie man die Stahlträger so im Fundament verankert, dass sie Erdstößen standhalten. Ich hatte zu diesem Thema als Lehrer auch keine Ahnung und so experimentierten wir viel. Wir bauten Stahlmodelle unserer Konstruktion, Pappmodelle, Holzmodelle und wir belasteten diese immer wieder und versuchten eine Lösung zu finden.

Bei einem Experiment meinte dann ein Schüler: „Herr Herold, es reicht jetzt. Stellen wir doch einfach die Module auf das Fundament, dann haben wir kein Problem mehr mit den Erdstößen. Wir müssen sie doch nicht einbetonieren. Die Afrikaner können sie doch dann ausmauern und dann trägt so ein großes Haus doch auch keiner davon.“

Diese Idee verfolgten wir weiter. Anschließend bauten wir Modelle von Modulen die nur 100 kg wiegen durften. Dazu befragten wir Herrn Schmid, wie viel Material wir verwenden können. Herr Schmid hatte dann die Idee, die Module aus Stahlblech zu bauen, welches abgekantet wird. Damit konnten wir Gewicht sparen.

Bei weiteren Überlegungen und Experimenten kamen wir auf die Lösung, 3 Modultypen zu verwenden:

Wir konstruierten Typ1 für Versteifung (Rahmen mit Diagonale), Typ 2 für Fenster (Rahmen mit 2 waagrechten Profilen) und Typ 3 für den Einbau einer Türe (ohne Innenverstärkung). Mit diesen Plänen gingen wir zu Herrn Schmid, der uns daraus einen Plan zeichnete.

Jetzt gab es das größte Problem, das Gebäude musste statisch berechnet werden. Der Statiker von Herrn Schmid wollte dafür Daten, die aus Afrika nicht zu bekommen waren und es war für uns nicht möglich, einen Statiker zu finden, der für uns diese Arbeit ohne Daten aus Afrika hinbekommen könnte. Im Internet fanden wir dann eine Webseite, auf der Pläne von Häusern abgebildet waren, bei denen eine ähnliche Fachwerkkonstruktion verbaut wurde, wie die, die wir entwickelt hatten. Wir kontaktierten den Betreiber der Homepage und er erklärte uns kurz sein System. Die Ähnlichkeit zu unseren Entwicklungen waren überraschend. Auch er verwendet Module in Stahlfachwerkkonstruktion.

Wir wurden von Herrn Pegels zu einem Arbeitsessen in ein 4 Sterne Hotel eingeladen. Mit einer Delegation meiner Klasse fuhren wir mit meinem privaten PKW eines Abends nach Oberstdorf. Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass er der Firmeninhaber des leitenden Ingenieurteams beim Bau des Guggenheimmuseums in Bilbao war, seine Firma den Bau des Burg el Arab in Dubai ausführte und er bei dem Bau des Bahnhofes von Lissabon die Stahlkonstruktionen für den Architekten Calatrava errichtete. Er war sozusagen ein Star der Stahlbauerszene.

Herr Professor Georg Pegels widmete sich, da er jetzt im Ruhestand ist, dem Thema „Erdbebensicheres Bauen in Entwicklungsländern“. Er wollte, nach eigenen Aussagen, einmal die Schulklasse kennen lernen, die im Werkunterricht auf die selben Ergebnisse gekommen ist, wie er mit Doktorranden aus verschiedenen Ländern in 6 jähriger Forschungsarbeit, die noch dazu mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden. Die Begegnung war für uns alle ein Durchbruch. Man möge sich das vorstellen, wie sich Schüler fühlen, die von einem Professor einer Universität für ihre Entwicklungsarbeit gelobt werden. Der Herr Professor unterstützte uns mit einer großzügigen Spende, und was noch wichtiger war, er übernahm die statischen Berechnungen des Gebäudes für uns. Diese Arbeit wurde dann zum Bestandteil einer Promotion eines Doktoranden der Bergischen Universität Wuppertal. So hatten wir jetzt noch die Empfehlungen des Statikers zu beachten. Unsere Überlegungen, das Gebäude nur auf das Fundament zu stellen waren wichtige Grundlage für den Erfolg des Projektes.

Jetzt ging es an den Bau der Module. Über Wochen arbeiteten die Schüler im wechselndem Schichtbetrieb in der Firma von Herrn Schmid. einige Probleme mussten dann noch überwunden werden, bis wir es geschafft hatten. Das Gebäude wurde Probe aufgebaut und feierlich eingeweiht. Dann mussten wir alles wieder zerlegen. Nach einigen Wochen wurde dann alles in einen Container verpackt und nach Tansania verschifft.

Da die Konstruktion einfach ist, sowohl in der Herstellung, als auch im Aufbau (Schüler können dies leisten, mit Ausnahme der Schweißarbeiten) hoffen wir, dass diese Bauart in Afrika weiter eingesetzt werden kann, um bezahlbare erdbebengeschützte Schulen und Häuser zu bauen. Um das Projekt allerdings fertig finanzieren zu können, bedarf es noch großer Anstrengung. Wir konnten dieses Projekt Schritt für Schritt durchführen. Probleme müssen wir dann lösen, wenn sie auftauchen. Mit viel Gottvertrauen und Gebet gehen wir mit den Afrikanern gemeinsam auf dem Weg, diesen Kindergarten zu bauen und dieses von den Schülern entwickelte System umzusetzen.

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