Eine ganz andere Kultur

Wochenmarkt in Chimala, einer kleinen Siedlung im Süden von Tansania: Eine holprige Lehmpiste führt von der Nationalstraße zu einem Gelände, wo viele Marktstände unter Strohdächern vor der Sonne Schutz finden. Etwa scheu werden wir betrachtet, Michael, Tobias und Susanne Herold, Ulrich Wachter und Peter Berger, fünf Mitglieder des Vereins „Die Brücke“ aus Günzburg.

Hier gibt es fast alles für den täglichen Bedarf: viel frisches Obst, Mangos, Melonen, Ananas, Passionsfrucht, Avokado; Orangen ordentlich auf dem Boden oder auf Tischen zu kleinen Pyramiden gestapelt, zum Teil mit frisch abgeschabter Außenschale; große Säcke Reis, Bohnen und Erbsen; Süßkartoffeln und Zuckerrohr, Gewürze, Cashewkerne und Erdnüsse; aber auch Kleider, großenteils gebraucht, manchmal mit deutschen Aufschriften; Stoffe mit buntem Ketenge-Muster zum Selberschneidern werden als Sonderangebot verscherbelt; und jede Menge Schuhe, etwa aus alten Autoreifen gebastelte Flip-Flops. Auch Kleinmöbel und Autoersatzteile findet man hier. Und Geflügel oder Kaninchen in lebendigem Zustand.

Etwas scheu beobachtet man die Fremden, die Wasungu, wie man die Europäer hier nennt. Hier zu sein mit unserer bleichen Hautfarbe heißt: ständig Aufsehen erregen. Aber die Distanz ist zumindest vorläufig schnell überwunden, sobald man den Blicken nicht ausweicht. Ein Lächeln wird sofort erwidert. Man ist schnell beim Handschlag und in den Handel verwickelt. Die Sprache bleibt aber das große Hindernis. Man spricht Kiswahili, die Nationalsprache Tansanias, und eine der lokalen Stammessprachen – der Maasai, der Hehe, der Nyamwanga, der Sukuma – und ein wenig Englisch, das aber für europäische Ohren sehr fremdartig klingt. Für ein paar Scherze mag das reichen, die fröhlich erwidert werden. Ob man sich verstanden hat, bleibt offen. Die Leute sprechen hier fast alle zwei bis drei Sprachen! Dank der Volksschulbildung in den lokalen Primary-Schools. Die Schulbildung zu fördern, in dem kleinen Dorf Brand in der Nähe von Chimala, ist das große Anliegen, das die Mitglieder der „Brücke“, einer NGO aus Günzburg, hierhergeführt hat.

Die Gesellschaft Tansanias ist vielschichtig. Neben dem Nationalstaat Tansania existieren Stammesverbände mit Chiefs, Papas genannt. Deren Einflussbereich ist nicht an nationale Grenzen, die von den Kolonialmächten gesetzt wurden, gebunden. Ebenso gelten innerhalb der Stammesverbände eigene Regeln. Die Rolle alter Männer und Frauen, die innerhalb der Clans Rechtsprechung betreiben und Konflikte lösen, spielen im Alltag der Menschen eine wichtige Rolle.  Nicht selten errichten sie durch die Macht von Magie und Hexerei ein Angstsystem, wenden diese Rituale aber auch für Heilungserwartungen an. Fremden wird erst nach langer Zeit des Vertrauens diese Kultur zugänglich gemacht. Der mit dem Mzungu aus Europa zusammenarbeitende Tansanianer schämt sich wegen dieser Kultur, die er zwar als notwendig, aber auch rückständig empfindet. Oftmals scheitern Projekte, die von hilfswilligen Europäern und Amerikanern initiiert werden, wenn diese Hierarchien und  Regeln nicht einbezogen werden. Auch die Nationalregierung kämpft mit diesen Strukturen.

Die Akteure des Vereins „Die Brücke e.V.“ müssen sich in diese Kultur hineinwühlen, um erfolgreich und verantwortungsvoll Spendengelder so einzusetzen, dass sie den Menschen vor Ort helfen, ihre Lebenswirklichkeit zu verbessern. Beim Bau des Kindergartens (die Günzburger Zeitung berichtete darüber) wurde im letzten Moment bemerkt, dass zwar die lokalen Politiker, aber nicht die Clanchefs vor Ort bei der Projektimplementierung einbezogen waren. In einer stundenlangen Versammlung wurde den sehr alten Autoritäten, Männern und Frauen,  das Projekt vorgestellt. Es wurde diskutiert, wie die Erziehung im Kindergarten und in der Schule Kinder und damit die Tradition und die Zukunft beeinflussen könnte. Die Alten stimmten zu und legten so die Grundlage für das geplante Schulzentrum, welches vom Verein „Die Brücke e.V.“ Schritt für Schritt aufgebaut wird.

Mit dem Projekt „Bau einer Primary-School“ wird der pädagogische Ansatz des Kindergartens weitergeführt. Der tansanianische Staat erklärte sich bereit, die Gehälter der Lehrkräfte zu bezahlen, wenn im Gegenzug der Verein „Die Brücke“ sich in der Lehrerfortbildung engagiert und die Schule für alle Kinder, egal welchen Einkommens und welcher Ethnie und welcher Religion zugänglich ist. Das bedeutet vor Ort, dass keine Schulgelder bezahlt werden müssen und sich die Kinder verschiedener Ethnien und Sprachen und Religionen vermischen (die verschiedenen Stämme leben in eigenen Dörfern dicht nebeneinander und trotzdem strikt getrennt). Das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen ist vor Ort ohne Konflikte möglich und es werden sehr innige Freundschaften zwischen Christen und Muslimen gepflegt. Die Nomadenstämme (Massai und Sukuma) werden von den sesshaften Stämmen tendenziell verachtet. Im Kindergarten aber spielen alle Kinder miteinander und lernen die gemeinsame Nationalsprache Kiswahili. Da sie Schuluniformen tragen verschwinden die äußeren Zeichen der Stammeszugehörigkeit. Außer dem Kopftuch bei islamischen Mädchen gibt es keine Unterscheidungsmerkmale. Dieses Miteinander wird in den Schulen fortgesetzt und vom Staat massiv gefördert, denn eine Weiterentwicklung des Landes kann nur durch die Stärkung des Nationalstaates erfolgen auf Kosten des Einflusses und der Identitätsbildung der Stämme. Eine Heirat zwischen verschiedenen Stämmen und Religionen ist inoffiziell aber völlig ausgeschlossen und würde zu einem Ausschluss aus dem Clan nach sich ziehen, denn der Clan entscheidet, wer wen heiraten darf.

In der geplanten Primary School engagiert sich der Verein „Die Brücke e.V.“ nach Vorgaben der tansanianischen Schulbehörden und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in der Lehrerfortbildung. Von beiden staatlichen Institutionen wird nämlich ein Konzept gesucht, welches einen Weg zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung innerhalb der Traditionen der Menschen möglich macht.

Neben der Ernährungssicherung müssen Kinder lernen, wie man Landwirtschaft so betreibt, dass Überschüsse erzielt werden und diese dann durch Wertschöpfung auch zu Geld verwandelt werden. Mit diesem Wissen kann ein selbstgestaltetes Leben gelingen. Daher müssen die Kinder in der Schule lernen, wie man als Investor Geld verdienen kann. Selbständiges Denken, Mut zur Eigeninitiative, Sinn für wirtschaftliches Handeln sind die Schlagworte, die für den  Verein  „Die Brücke“ dem Begriff Nachhaltigkeit ein Zielfähnchen aufstecken.

Hier schlummern in Tansania  eine Menge Kapazitäten: ein fruchtbares Land, eine bewundernswerte Fähigkeit, sich mit einfachen Mitteln zu behelfen, die selbstverständliche gegenseitige Hilfsbereitschaft.  Was hier im ländlichen Raum fast ganz fehlt, sind kleine Betriebe zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. solche Betriebe müssen aber auch betriebswirtschaftlich geführt werden können. Vielleicht können dort auch Arbeitsplätze entstehen und der Betrieb könnte expandieren und so besser qualifizierten Menschen eine Anstellung gemäß ihrer Qualifikation ermöglichen. Das wäre ein Mittel gegen die Landflucht, die viele junge Leute dazu bringt in die Großstädte zu ziehen und von dort nach Europa, weil sie in Chimala oder Das Es Salam keine Perspektive sehen ihr Leben selbständig zu gestalten.

Dieser Beitrag wurde unter Eindrücke aus Tansania veröffentlicht.